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Erkenne die Anzeichen einer gestörten Mutter-Kind-Beziehung (+ Tipps zu Verbesserung)

„Lass das Baby einfach schreien.“

Hast du diesen „Ratschlag“ auch schon einmal zu hören bekommen? 

Leider kursiert dieser Tipp schon lange herum. Grund für die Aussage ist die Annahme: Ein unselbstständiges Kind wird großgezogen, wenn ständig auf jedes Weinen reagiert wird.

Diese Reaktion ignoriert jedoch wichtige Grundbedürfnisse deines Kindes und hat nichts mit einer bedürfnisorientierten Erziehung zu tun. Sie sorgt sogar auf lange Sicht zu Beziehungsstörungen bei deinem Kind.

Wie du das vermeidest und was du tun kannst, wenn schon Anzeichen einer Beziehungsstörung da sind, erfährst du hier...

Gestörte Bindung Mutter fühlt sich hilflos, wenn das Baby schreit

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Was ist eine Beziehungsstörung?

Ganz vereinfacht gesagt, haben Kinder mit einer Beziehungsstörung nicht gelernt, anderen Menschen zu vertrauen. Ihnen fehlt die Erfahrung, geliebt und versorgt zu werden – oder anders gesagt: Sie haben kein Urvertrauen.

Verursacht werden Beziehungsstörungen, wenn Eltern ihre Kinder vernachlässigen oder keine Rücksicht auf ihre Bedürfnisse nehmen.

Das klingt jetzt ziemlich dramatisch, aber keine Sorge. Du musst keine Angst haben, dass dein Kind eine Beziehungsstörung bekommt, wenn du es mal 3 Minuten schreien lässt, weil du gerade auf dem Klo sitzt. In einer epidemiologischen Studie von Pritchett et al. (https://www.hindawi.com/journals/tswj/2013/818157/ ) zeigten sich lediglich bei 1,4% von 1600 Kindern im Alter von 5 bis 8 Jahren Anzeichen einer Bindungsstörung.

Trotzdem ist es wichtig, das Thema im Auge zu behalten und möglichen Beziehungsstörungen von Anfang an vorzubeugen.

Gestörte Mutter-Kind-Beziehung - Das sind die Anzeichen

Gestörte Bindung Kind hat Probleme im Sozialverhalten mit der Peergruppe

Vielleicht fragst du dich jetzt besorgt, ob dein Kind eine Beziehungsstörung hat...

Kinder, die an einer Beziehungsstörung leiden, zeigen diese häufig durch ein gestörtes Sozialverhalten. Die Symptome sind nicht bei jedem Kind gleich und natürlich können auch andere Probleme für das Verhalten verantwortlich sein.

Bei folgenden Auffälligkeiten besteht allerdings der Verdacht einer Beziehungsstörung :

  • Das Kind ist ängstlich, unsicher und übervorsichtig
  • Das Kind baut kaum soziale Kontakte auf
  • Das Kind zeigt ein apathisches Verhalten, das durch Zuwendung nicht beeinflusst werden kann
  • Das Spielen mit anderen Kindern funktioniert nicht richtig
  • Das Kind sucht ständig nach Aufmerksamkeit (auch durch schlechtes Benehmen) und versucht bei Fremden die fehlende Geborgenheit zu finden. Jedoch ohne eine wirkliche Bindung aufzubauen
  • Das Kind ist aggressiv gegenüber anderen Kindern und Erwachsenen

Wenn du eines oder mehrere dieser Anzeichen bei deinem Kind wahrnimmst, bedeutet das nicht automatisch, dass dein Kind eine Beziehungsstörung hat. (So zeigen beispielsweise auch autistische Kinder etliche dieser Symptome.)

Allerdings solltest du mit deinem Kind bei einem Kinder- und Jugendpsychologen vorstellig werden. Dieser kann dir sagen, warum dein Kind diese Symptome zeigt. Ein bloßes Ignorieren der Anzeichen kann zu massiven Problemen im Erwachsenenalter führen.

Wie entstehen Beziehungs- und Bindungsstörungen?

Der größte Risikofaktor für eine Beziehungsstörung ist die soziale Vernachlässigung des Kindes in der frühkindlichen Entwicklungsphase. Das bedeutet, dass das Kind während der ersten zwei bis drei Lebensjahre nicht die Zuwendung bekommt, die es braucht.

Basierend auf dem Neufeld-Ansatz, durchläuft ein Kind während seines Entwicklungsprozesses 6 Stadien:

  1. 1
    Stadium der Abhängigkeit (hier ist dein Baby nicht in der Lage, ohne dich zu überleben)
  2. 2
    Stadium der Bindung (dein Kind sucht aktiv deine Nähe und Zuwendung)
  3. 3
    Stadium der Separation (dein Kind wird eigenständiger, benötigt jedoch trotzdem noch deine Liebe, deinen Rückhalt und deinen Schutz)
  4. 4
    Stadium der Individuation (hier wird dein Kind mehr und mehr eine eigenständige Persönlichkeit)
  5. 5
    Stadium der Pubertät (dein Kind löst sich noch mehr von dir, ist aber oft auch unsicher und benötigt Rat und Unterstützung)
  6. 6
    Stadium der Reife (jetzt sollte dein Kind „auf eigenen Beinen stehen“ und sein eigenes Leben leben können)

Am Ende von Stadium 6 sollte ein Kind also ein selbstbewusster, eigenständiger und sozialer Erwachsener sein. Bis dahin kann aber einiges schieflaufen.

Schauen wir uns mal die häufigsten „3 Fehler“ an, die Eltern während der ersten 4 Entwicklungsphasen machen können:

1. Bindungsstörungen bei Babys (Abhängigkeitsphase)

Babys sind komplett von dir abhängig. Und auch, wenn wir uns als Erwachsene nicht an diese Zeit erinnern können, prägen uns die Erlebnisse, die wir in der frühkindlichen Entwicklungsphase gemacht haben, fürs Leben.

„So ein Baby erinnert sich ja später eh an nichts“  ist deshalb eine mutige Annahme, die du sofort in die Tonne werfen solltest. Eine wichtige Rolle spielt hier das Thema Vertrauen. Am besten erklärt sich das an einem praktischen Beispiel:

Dein Baby schreit. Schon wieder. Das ist für dich zwar wahnsinnig nervtötend, doch für dein Baby ist die Lage noch schlimmer. Dein Kind versucht dir in diesem Moment mitzuteilen, dass etwas nicht in Ordnung ist und dass es mit der Situation sehr unzufrieden ist. Reden kann das Würmchen ja noch nicht.

Wenn du dein Kind jetzt einfach weinen lässt, zeigst du deinem Kind, dass es sich nicht auf dich verlassen kann. Dein Kind braucht dich, um versorgt zu werden. Wenn du das jedoch nicht machst, lernt dein Kind, dass du dich nicht um seine Bedürfnisse kümmerst. Dein Kind will ständig mit dir in Verbindung und im Kontakt sein. Denn Nähe und Bindung sind die wichtigsten emotionalen Grundbedürfnisse. In der Abhängigkeitsphase braucht dein Baby die Nähe mit allen 5 Sinnen. Es soll dich möglichst viel hören, spüren, riechen, sehen, schmecken. 

2. Bindungsstörungen bei Kindern (Bindungsphase)

Natürlich hört das auch nicht auf, wenn dein Kind älter wird. 

Selbst in der Trotzphase – wenn du deinem Kind überhaupt nichts recht machen kannst – braucht es deine Liebe und deinen Schutz. In dieser Phase erfolgt die Bindung über Gleichheit. Dein Kind möchte vieles, was du tust und machst, ebenso machen. Es möchte sich gleich wie du anziehen, dieselben Kosmetikartikeln verwenden, beim Kochen mithelfen, etc. Es verbindet sich mit dir, in dem es dich nachahmt. Wird das verhindert, abgetan, belächelt oder ständig kritisiert, fühlt sich dein Kind nicht mit dir verbunden. 

Wenn die Vernachlässigung jetzt weiter andauert, werden die Störungen, die dein Kind dadurch entwickelt, immer gravierender.

3. Freiheitsdrang vs. Helikopter-Eltern (Phase der Separation und Individuation)

Dein Kind bindet sich an dich durch das Gefühl, dass es für dich wichtig sein darf. Dein Kind sehnt sich danach, von dir akzeptiert und geschätzt zu werden, so wie es ist. Es ist sehr sensibel gegenüber negativen Kommentaren, abwertenden Blicken und fühlt sich verletzt, wenn es das Gefühl hat, dir nicht wichtig zu sein. Dein Kind möchte eine Bedeutung für dich haben. Indem du ihm liebevolle Blicke, freundliche Gesten und ein strahlendes Lächeln schenkst, gibst du ihm das Gefühl, geliebt und wertvoll zu sein. Auf diese Weise schaffst du eine sichere Umgebung, in der sich dein Kind geborgen fühlt und eine starke Bindung zu dir aufbauen kann.

Je älter dein Kind wird, desto eigenständiger möchte es sein. Das spürst du besonders in der Wackelzahnpubertät. Es braucht die Wertschätzung und Achtung für eigene Versuche, die Welt zu erforschen. 

Hier heißt es nun, einen guten Mittelweg zwischen Bindung und Loslassen zu finden...

Kinder müssen die Welt entdecken und eigene Erfahrungen sammeln. Wenn du immer und überall wie Helikopter-Eltern an deinem Kind hängst und alle Probleme für dein Kind löst, wird das nichts.

Warum ist das wichtig?

Im Laufe des Entwicklungsprozesses kapseln sich Kinder ab. Sie bauen eine eigene Persönlichkeit auf, bilden sich ihre Meinung zu Dingen, stellen alles Mögliche in Frage (inklusive dir) und werden ganz allmählich zu selbstbewussten Erwachsenen. Natürlich möchtest du, dass es deinem Kind gut geht.  

Fakt ist: Du kannst dein Kind nicht immer und überall vor allem beschützen.

Erst recht nicht mehr, wenn dein Kind gar kein Kind mehr ist. Indem du deine Angst auf dein Kind überträgst, sorgst du dafür, dass es ängstlich durchs Leben geht. Immer in dem Glauben, dass es alleine nichts hinbekommt.

Also, bring dein Kind nicht um diese wichtigen Erfahrungen. Hab Vertrauen und lass dich davon überraschen, was dein Kind alles ohne dich schafft. Du wirst begeistert sein. So förderst du die Resilienz deines Kindes!

Bindungsstörungen bei Kindern und mögliche Folgen fürs spätere Leben

Gestörte Bindung Elternteil fühlt sich machtlos

Sei mal ganz ehrlich. Du kennst bestimmt eine Person, die irgendwie ein bisschen komisch ist. Sie findet nicht so wirklich Anschluss, traut sich nichts zu und Sozialkompetenz ist auch nicht richtig vorhanden. Beziehungen funktionieren nicht, Freundschaften verlaufen im Sand...

Stresssituationen werden nicht oder nur schlecht gemeistert, was die berufliche Karriere erschwert. Das sind nur ein paar der Konsequenzen, die eine gestörte Eltern-Kind-Beziehung verursachen kann.

Damit es nicht dazu kommt, sollten schnellstmöglich Maßnahmen ergriffen werden.

So kannst du deinem Kind mit seiner Beziehungsstörung helfen

Wie du eine gute Bindung zu deinem Kind aufbaust, erfährst du hier: 7 Tipps für eine starke Eltern-Kind-Bindung

Doch was, wenn das Kind „schon in den Brunnen gefallen“ ist, wie man sprichwörtlich sagt?

Wir brauchen hier nichts schönzureden, alleine wird es schwierig. Scheue dich nicht, dir Unterstützung zu suchen! Hole dir Hilfe in Form von Elterncoaching oder Psychotherapie. Mit dem Gang zum Kinder- und Jugendpsychologen bist du nicht gescheitert – im Gegenteil! Du machst diesen wichtigen Schritt, um deinem Kind zu helfen. Eltern sein ist schwierig. Hilfe in Anspruch zu nehmen ist keine Schwäche, sondern eine wahnsinnig mutige Entscheidung!

Was passiert bei der Therapie?

Gestörte Bindung Frau geht zum Therapiezentrum

Zunächst wird für dein Kind ein Umfeld geschaffen, in dem es sich sicher und geborgen fühlt. Nur so können Bindungen aufgebaut werden. Dein Kind durchläuft dann folgende Etappen:

  • Bindungsorientierte Verhaltenstherapie
  • Einzeltherapie
  • Familientherapie

Natürlich muss die ganze Familie mit an Bord sein und die Therapie unterstützen. Es sollte aber mindestens eine Bezugsperson geben, die immer mit dabei ist und ganz eng am Heilungsprozess des Kindes beteiligt wird.

Das Kind muss natürlich den Therapeuten mögen, sonst wird das alles nichts. Auch zwischen den beiden muss ein vertrauter Umgang bestehen.

Fazit

Fehlende Bindung kann lebenslange Folgen haben. Ignoriere also gerne alle Kommentare in Richtung „Lass das Baby weinen“.

Wenn du den Eindruck hast, dass dein Kind eine Beziehungsstörung hat, dann solltest du schnellstmöglich Hilfe in Anspruch nehmen. Wie gesagt: Das ist keine Schwäche, sondern eine riesen große Stärke von dir als Elternteil!